Elektra / Richard Straus

 

Musikalische Ltg.: Hans Urbanek

Inszenierung: Andrea Moses

Bühne / Kostüme: Christian Wiehle

Choreinstudierung: Sierd Quarré

Dramaturgie: Ludwig Haugk / Dr. Klaus Rak

 

@ Südthüringisches Staatstheater Meiningen 2007

 

Inszenierung des Jahres 2007 im Deutschlandfunk

Nominiert für den deutschen Theaterpreis DER FAUST 2008

 

 

Raum der Lüge

 

Ein Gespräch mit Christian Wiehle von Ludwig Haugk

 

L.H.: Sowohl „Elektra“ als auch „Salome“ spielen vor einem Palast. Wie schon bei der Arbeit an „Salome“ haben Sie auch für „Elektra“ diese Herausforderung angenommen. Im Bühnenbild zu „Salome“ zitieren Sie die Kaaba, in „Elektra“ die Twin Towers. Sind ihre Bühnenbilder auch Reflektionen über moderne Formen der Repräsentation von Herrschaft und wenn ja, in welcher Hinsicht?

 

C.W.: Bei „Elektra“ wie schon bei „Salome“ ging die Konzeption von Andrea Moses von Anfang an von einer politischen zeitgenössischen Lesart des Stoffes aus: Wie entsteht der fatale Kreislauf von Ideologie, politischer Gewalt und Gegengewalt und medialer Ausbeutung dieser Ereignisse? In wie weit lassen sich die Figuren der Seelen- und Familiendramen auch als politische Akteure lesen? Diese Fragen stellten mich vor die Aufgabe, Bühnenräume zu schaffen, die sowohl Raum für die szenische Aufnahme der Geschichte bieten als auch über ein Zeichensystem verfügen, das die Aussage der Regiekonzeption unterstützt und eigenständig weiterdenkt.

In unserer Auffassung der Elektra geht es vor allem auch um verschiedene Formen der Erinnerung oder besser: der politischen Instrumentalisierung von Geschichte und historischen Ereignissen.

 

L.H.: Der Raum verarbeitet Symbole aktueller und historischer Konflikte und überlagert sie...

 

C. W.: Auf der vordergründigen Ebene ist das Bühnenbild als Gedächtnishalle, als Raum der Erinnerung konzipiert. Hierbei steht die Perspektive der Klytämnestra im Vordergrund, die dieses Staatsdenkmal errichten ließ und im Laufe des Stückes mit einem propagandistischen Akt einweiht, um ihre grauenhafte Tat, den Mord an Agamemnon, zu verwischen. Ein Vorgang, den wir aus verschiedenen politischen Zusammenhängen kennen, indem die Geschichte posthum in ihr Gegenteil verkehrt wird. Im Weiteren macht diese Ebene die Übermächtigkeit der Agamemnonfigur deutlich, die in unterschiedlichen Färbungen bis hin zum absoluten Rachegedanken der Elektra in den Figuren nachwirkt. Elektra selbst ist in diesem Raum die „vandalistische“ Störung, die allein durch ihr Äußeres und durch ihre Aktionen diesen Repräsentationsraum beschmutzt.

Auf der metaphorischen Ebene zeigt das Bühnenbild einen „paradoxalen“ Geschichtsraum. Zum einen stellt es durch die beiden Glaskuben die Twin Towers dar, samt stilisierter Explosion in einem der Kuben. Zum anderen steht eine ebenfalls stilisierte Saddam Hussein Statue in dem zweiten Kubus, die mit ihrer Hand auf die Explosion im Ersten weist.

Nine-Eleven trifft die Eroberung des Iraks und den später folgenden sprichwörtlichen Sturz des Regimes in Form der Statue.

Ursache und Wirkung werden in einem Raum trotz der unmöglichen Gleichzeitigkeit der beiden geschichtlichen Ereignisse verwoben. In gewissem Sinne stellt er einen „Geschichtsbastard“ dar, der mehr auf die mediale Repräsentation zielt, als auf die realen geschichtlichen Ereignisse. Denn heute sind geschichtliche Ereignisse ohne mediale Verwertung gar nicht mehr denkbar, wie es exemplarisch an der Terroraktion des 11. Septembers zu sehen war, die im Besonderen auf totale Aufmerksamkeit und Schauwert angelegt war. In der medialen Global-Unterhaltung, die dem Zuschauer als Nachrichten verkauft werden, wiederholen sich die Fernseh-Actionereignisse pünktlich zum Jahrestag und stellen so eine zeitliche Schleife der ständigen Wiederholung her – der mediale Raum der Gleichzeitigkeit.

Im Weiteren wird in diesem „Telepräsenzraum“ aber auch der reale Raum aufgehoben. Staaten, die tausende Kilometer voneinander entfernt sind, werden per Knopfdruck zu virtuellen Nachbarn – freilich ohne die kulturellen Unterschiede aufzulösen. Paradigmatisch zeigte sich dies beim Karikaturenstreit, der zu enormen Spannungen führte. Diese virtuelle Dichte schafft eine enormen Überdruck an Zorn, der sich im Allgemeinen in Gewalt entlädt.

Das Bühnenbild nimmt diese Aspekte assoziativ auf und verdichtet sie zu einem explosiven Gemisch. Die Situation des hohen Überdrucks ist der Oper Elektra eingeschrieben. Die Figuren der Oper entzünden in ihren Zornarien dieses Gemisch, sodass es explodiert und den Kreislauf der Rache und Gewalt zeigt, sowie er sich uns täglich präsentiert, wenn wir den Schalter der Fernsehbedienung auf ON drücken.

Das mediale Interesse von Angebot und Nachfrage bestimmt, was Geschichte wird und dieses Interesse selektiert: Nur die Ereignisse, die genug Symbolkraft haben, werden vermittelt und nur die vermittelten Bilder gehen in das kollektive Gedächtnis ein. So gesehen ist das Bühnenbild ein Raum medialer Lüge.

 

L.H.: Und aus dieser Lüge heraus wird wieder reale Politik gemacht, sterben Menschen ganz real. Die wahre Härte der medial vermittelten Politik bleibt dabei verborgen!

 

C.W.: Genau. Heute präsentiert sich die Apokalypse in gut konsumierbaren Plastikdesign, zumindest für die Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Die Bilder des Schreckens werden verpackt in farbenfrohe Sendungen, die im Besonderen auf zuschauerfreundliche, d.h. der Langeweile entgegenwirkende Häppchen zurecht geschnitten sind. Oder das blutige Gemetzel folgt unmittelbar den typischen Nacktbildern in den Hochglanzmagazinen. Die westliche Hemisphäre erweist sich als eleganter Glaspalast, in dem der Schrecken in seinen Gliedern, den U-Bahnen und Flugzeugen fährt, ohne dass das Grauen sichtbar wäre. In Folge dieses Gedankenganges ist unser Raum der Erinnerung im flotten Design der Konsumpassagen gestaltet. Er leuchtet wie ein Tannenbaum und beschwört somit die rührselige Wohlfühlatmosphäre einer Oberfläche, die auf ihrer Kehrseite das Grauen trägt. Das Grauen wird wirkungsvoll in das System eingebaut und in seiner tausendfachen Wiederholung ästhetisiert. Entsprechend schlägt sich dieses Phänomen auf der Bühne nieder, indem die zerstörerischen Ereignisse des 11. Septembers zu einem „schönen“ Stern in den Farben der amerikanischen Nationalflagge gebündelt werden. Die ständige Wiederholung des ästhetisierten Grauens dient dazu, einen virtuellen Raum der Bedrohung und der Angst herzustellen, der politische Handlungsweisen legitimiert, ohne dabei die Ursachen der Gewalt nachhaltig zu hinterfragen – THE AGAMEMNON MEMORIAL HALL.

 

© Südthüringisches Staatstheater Meiningen 2007